"Egal von wo die Menschen herkommen, alle lieben gute Songs!"
Yuriy Gurzhy ist Gründungsmitglied und einer der Frontmänner der Berliner Band RotFront. Wir sprachen mit ihm über ihr neues Album „17 Deutsche Tänze“, die Zusammenarbeit mit Marla Blumenblatt und wie sich ein Pop-Song in der Emigrantski Republik anören muss.
Hi Yuriy. Wie geht’s dir, alles klar?
Auf jeden Fall, Danke! Wir haben gerade mit RotFront eine Tour durch die Heimat gespielt. Danach war ich eine Woche lang Energie in Rom und Toskana tanken, und jetzt bin ich gerade wieder zurück in Berlin angekommen.
Euer neues Album „17 Deutsche Tänze“ ist nun seit Ende April draussen. Wie sind die Resonanzen bis jetzt? Seid ihr zufrieden?
Mit dem Album sind wir selber sehr zufrieden. So zufrieden, dass wir eigentlich extrem sicher sind, dass es sehr gut geworden ist. Auch alle unsere Freunde und Fans mit denen wir die Möglichkeit hatten zu sprechen, finden es Klasse. Bei manchen dauert es halt ein bisschen, aber am Ende sind sie immer begeistert.
Das freut mich. Bei mir läuft die Scheibe übrigens auch auf Heavy Rotation. Einer der schönsten und stärksten Songs auf eurem neuen Album ist „In Paris“ mit Marla Blumenblatt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich habe irgendwo das Video zum Marlas Song Cornetto gesehen, und war sehr beeindruckt. Ich bin kein grosser Spezialist im Bereich "zeitgenössische deutsche Musik", aber ich fand ihren Retro-Sound extrem erfrischend. Und nach ein paar Tagen, als ich mir schon ihr Album besorgt hatte, habe ich festgestellt, dass wir Nachbarn sind. Sie wohnt gleich hier um die Ecke von mir! Das nenn ich Schicksal! Ein paar Tage später haben wir uns dann auf ein Kaffee getroffen und den Song zusammen geschrieben. War eine tolle Erfahrung!
Im Zusammenhang mit eurer Musik fallen ja die unterschiedlichsten Attribute: Osteuropa, Russland, Ukraine, Ungarn, Klezmer; Punk, Ska etc. Was mir jedoch auffällt, ist euer ausgeprägtes Gespür für poppige Melodien und eingängige Hooks. Woher kommt dieser Pop Appeal?
Keiner macht ja heutzutage wirklich echte WELTMUSIK! Klar gibt traditionelle Musik aus einem Land, das schon. Aber die absolute Mehrheit der Bands die man normalerweise als Weltmusik Acts beschreibt, machen eigentlich das worauf sie einfach Bock haben. Geile Mucke, so wie sie sie in ihren Köpfen haben, mit den Elementen die sie eben kennen und schätzen. Alleine die Tatsache, dass ein Interpret aus Japan oder dem Balkan kommt, reicht ja noch nicht als Grund, damit seine Musik gut sein soll. Das ist ein Bonus vielleicht, mehr aber auch nicht.
Es muss gute Songs geben! Egal wo die Menschen herkommen, alle lieben gute Songs! Songs, die einen packen, wo jeder den Chorus mitsingen kann – und das ist auch unser Ziel. Wir erzählen unsere Geschichten, verpackt werden sie als Pop-Songs, aber in einer Form wie sie wahrscheinlich nur in der Emigrantski Republik exsistiert!
Was ich auch in eurer Musik raushören kann, ist ein starker Hip Hop Einfluss. Beastie Boys Reminiszenzen, euer Look auf den Fotos im allgemeinen, und der Ghettoblaster im speziellen, und natürlich die Raps von Mad Milian. Was sind da eure Einflüsse, bzw. musikalischen Helden?
Mad Milian hat da bestimmt seine eigene Perspektive. Meine erste Hip Hop-Platte, damals in der Ukraine gehört, war „Home Invasion“ von Ice-T. Und dann auch Public Enemy, Geto Boyz, und natürlich „Licensed To Ill“ von den Beastie Boys.
Meine Lieblings-Lps als 10 jähriger waren übrigens auch „Iceberg“ von Ice-T und „Fear of a Black Planet“ von Public Enemy. Kannst du auch mit deutschem Rap etwas anfangen? Und gibt es interessanten Rap in Ukraine bzw. Russland den du empfehlen kannst?
Mit deutschen Rap kann ich weniger was anfangen. Es gibt viele interessante ukrainische und russische Rap-Künstler, jedoch etwas zu empfehlen ist schwierig, da es vor allem um den Inhalt geht, und wenn man die Sprache nicht versteht...
Klar. Was für eine musikalische Sozialisation hast du eigentlich durchlebt, wo liegen deine persönlichen Einflüsse? Mit was für Musik bist du gross geworden?
In der Charkover Wohnung, wo ich mit meinen Eltern und Grosseltern gross geworden bin, und bis 14 lebte, habe ich die ganze Musiksammlung meines Opas durchgehört. Dschinghis Khan, Boney M, Italo Disco, aber auch Barry Sisters und sowjetischer Underground-Klezmer. So Sachen eben. Alles was man in dieser Zeit halt kriegen konnte. Nach den Jahren der Isolation gab es dann aber plötzlich sehr viel Musik. Dann kam alles, von den Beatles über Sex Pistols zu Psychic TV und Coil.
Du kamst als ca. 20 jähriger nach Deutschland. Wie hat das Land damals auf dich gewirkt? Und wie hat dich Deutschland empfangen?
Deutschland war nett zu mir. Die ersten Jahre war ich busy, die alkoholischen Getränke zu degustieren. Das nahm ziemlich viel Zeit im Anspruch!
Rotfront habt ihr 2003 gegründet, jedoch erst 2009 euer erstes Album veröffentlicht. Warum hat es so lange gedauert bis euer Debut Album rauskam?
Es gab damals weder einen Plan noch eine konkrete Vision. Wir waren damals eine Coverband, aber anders als man es hier versteht. In Deutschland (aber natürlich nicht nur hier!) verdient man damit Geld, indem man die bekannten und immer gleichen Hits nachspielt. Das wollten wir jedoch nicht. Wir dagegen haben unsere persönlichen Favoriten gecovert, die in Berlin keiner kannte. Sowjetische Schlager, Songs aus ungarischen Zeichentrickfilmen, solches Zeug halt.
Anfangs gab keine stabile Besetzung, und von Konzert zu Konzert konnte sich das Repertoire und die Musiker komplett ändern. Später gings dann langsam los mit Songs schreiben.... Und irgendwann hatten wir dann genug für ein Album zusammen. Aber es hat gedauert!
Nehmt ihr eigentlich noch neue Bandmitglieder in euer Kollektiv auf, oder hat sich so etwas wie eine feste Band Konstellation über die Jahre entwickelt?
Das Kollektiv ist eine Familie, und wie jede normale grosse Familie, wächst sie.
Wie sieht es mit Solo Plänen der einzelnen RotFront Mitgliedern aus? Darf man sich in der nächsten Zeit über Soloalben von Yuriy Gurzhy, Simon Wahorn oder Mad Milian freuen?
Mit Soloplänen sieht es im Moment noch nicht ganz so konkret aus... Eigentlich bin ich in der Band derjenige, der am meisten schreibt. Simi (Simon Warhorn) und Mad (Milian) sind richtig langsam, dafür sind die beiden aber absolute Perfektionisten!
Ich habe gerade eine neue Band gegründet, zusammen mit meinem alten Freund und ehemaligen RotFront Kollegen Daniel Kahn, und Marina Frenk, einer tollen Sängerin (Marina & Kapelsky, The Real Baba Dunyah). Das Ding heisst The Essad Bey City Rollers. Wir machen im Studio Я vom Gorki Theater sowas wie ein Musical über das Leben vom Essad Bey, einem deutschen Schriftsteller jüdischer Herkunft, der vor 90 Jahren aus Baku nach Berlin kam, hier zum Islam konvertierte, und zu ein Bestsellerautor wurde. Dafür haben wir ganz viel geschrieben, und möchten demnächst ins Studio um das Ganze aufzunehmen.
Wie gesagt, bei den Kollegen wird es noch eine Weile dauern bis die ihre eigenen Projekte fertig haben. Aber auch da kann man sich auf ein paar sehr spannende Geschichten gefasst machen
Alles klar. Yuriy, ich bedanke mich für das Interview und bis demnächst wieder in der Emigrantski Republik!
Das Interview führte Robert Lippuner